Letzten Montag war ein Artikel zur Veröffentlichung der geheimen Irak-Dokumente durch Wikileaks im Handelsblatt. Der Titel war „Der gefährlichste Mann der Welt“. Man müsste allein schonmal über die Definition von „gefährlich“ in diesem Zusammenhang nachdenken oder auch darüber, für wen. Ich zumindest habe mich bis jetzt noch nicht von ihm bedroht gefühlt.
Was mich aber schon gewundert hat, war folgender Ausspruch vom Wikileaks-Gründer Julian Assange bei der PK:“Diese Dokumente zeigen nur die Wahrheit, und die Wahrheit ist bedroht.“ Ich finde es immer sehr bedenklich, wenn jemand von sich oder auch von den Dingen die er tut behauptet, dass sie die Wahrheit wiedergeben oder auch die Wahrheit sind. Allein der Buchtitel „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ von Heinz v. Foerster lässt erahnen, warum ich so empfinde. Und wenn man das Buch liest, kann man nachvollziehen, wieso solche Aussagen auch kritisch bewertet werden könnten. Und die Beschäftigung mit der Frage, wessen Wahrheit hier denn von Herrn Assange gemeint ist, führt zu weiteren Schwierigkeiten.
Ich gebe zu, dass ich mir die geheimen Dokumente nicht angeschaut habe. Ich stelle diese auch nicht in Frage (wie könnte ich!). Ich finde nur, dass Menschen, die sich dazu berufen fühlen, die Welt aufzuklären, eventuell etwas sorgsamer mit ihren Aussagen umgehen sollten. Mit der Behauptung, dass jemand im Besitz der Wahrheit ist, ist meiner Meinung auch die Gefahr verbunden, dass sich dieser Wahrheitsinhaber immer auch über diejenigen stellt, die nicht im Besitz der Wahrheit sind. Und damit schafft man eventuell Konflikte, die man hätte vermeiden können.
Ein weiterer interessanter Punkt in dem Artikel war die wiedergegebene Information von Recherchen der newsweek, dass von denjenigen Medien Geld an Wikileaks gespendet wird, denen die geheimen Papiere vor der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt werden. Man kommt also nur dann in den „Besitz der Wahrheit“ (zumindest zeitlich vor der Allgemeinheit), wenn man dafür bezahlt. Dies ist aus meiner Sicht eine wirklich gefährliche Entwicklung. Wikileaks entwickelt also ein Geschäftsmodell auf Basis der Beschaffung von Wahrheiten, was, wenn man es konsequent weiter denkt, dazu führt, dass Wikileaks zum Verwalter von Wahrheiten wird, sicher nicht von allen, so doch aber von bestimmten Wahrheiten.
Es fällt mir schwer, das alles zu beurteilen. Es ist sicher gut und notwendig, wenn es Institutionen gibt, die den politischen (Groß-)Mächten oder auch Wirtschaftsunternehmen auf die Finger schauen (z.B. Amnesty, foodwatch etc.). Ich bin mir nur nicht sicher, ob Wikileaks mit seinem Modell langfristig seinen eigenen, scheinbar hohen moralischen Ansprüchen gerecht werden kann.