„Für gewöhnlich freilich ist die existentielle Frustration keine manifeste, sondern eine latente. Das existentielle Vakuum kann auch larviert, maskiert bleiben, und wir kennen diverse Masken, hinter denen sich das existentielle Vakuum verbirgt. Denken wir bloß an die Krankheit der Manager, die sich aus ihrer Arbeitswut heraus in die Betriebsamkeit hineinstürzen, wobei der Wille zur Macht – um nicht zu sagen seine primitivste und banalste Ausprägung: der „Wille zum Geld“ – den Willen zum Sinn verdrängt!
Aber so wie die Manager selbst zuviel zu tun und darum zuwenig Zeit haben, als dass sie auch nur zum Aufatmen oder gar zu sich selbst kämen, so haben ihre Frauen vielfach zuwenig zu tun und darum zuviel Zeit und wissen mit dieser vielen Zeit nichts und am allerwenigsten etwas mit sich selbst anzufangen; und diese ihre innere Leere betäuben sie durch Trunksucht, Tratschsucht und Spielsucht… All diese Menschen sind auf der Flucht vor sich selbst, indem sie sich einer Form der Freizeitgestaltung hingeben, die ich als zentrifugal bezeichnen und einer solchen gegenüberstellen möchte, die den Menschen nicht nur Gelegenheiten zur Zerstreuung, sondern auch solche zur inneren Sammlung zu geben versucht.
Es gibt auch auf psychologischem und nicht nur physikalischem Gebiet den Horror vacui, die Angst vor der Leere. Im Versuch, das existentielle Vakuum durch Motorenlärm und Geschwindigkeitsrausch zu übertönen, sehe ich die psychodynamische vis a ergo der so rapide zunehmenden Motorisierung. Ich halte das beschleunigte Tempo des Lebens von heute für einen wenn auch vergeblichen Selbstheilungsversuch der existentiellen Frustration; denn je weniger der Mensch um ein Lebensziel weiß – nur desto mehr beschleunigt er auf seinem Lebensweg das Tempo. In diesem Sinne parodiert der Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger einen halbstarken Motorradwildling in einem Song, in dem es heißt:“Ich hab‘ zwar keine Ahnung, wo ich hinfahr‘, aber dafür bin ich g’schwinder dort.“
Viktor E. Frankl „Das Leiden am sinnlosen Leben“