Pegida, Je suis Charlie, Journalismus, Politik und…wir!

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Gesellschaft / Medien / Politik

„Der Andersdenkende ist kein Idiot, er hat sich eben eine andere Wirklichkeit konstruiert“ P. Watzlawick

Das Zitat von Paul Watzlawick ist mir die Tage zufällig (zufällig?) mal wieder über den Weg gelaufen. Und es hat mich nachdenklich gemacht. Vor allem aufgrund der schrecklichen Vorfälle in Frankreich, aber auch, nach längerem Nachdenken, hinsichtlich Pegida und vielen anderen gesellschaftlichen Entwicklungen, die gerade in der Welt stattfinden. Ich würde in einigen Fällen Watzlawick widersprechen. Sehr wohl gibt es bei den genannten Themen sehr viele Idioten (also mindestens Idioten), die da unterwegs sind. Und insbesondere bei den Anschlägen in Frankreich ist diese Bezeichnung ja sowieso noch nicht mal angemessen. Aber bei allem, Idiot hin oder her, sie sind es eben „nicht nur“! Es ist mehr. Sie als Idioten abzustempeln hieße, sie zu ignorieren, sind halt Idioten. Hat der Watzlawick also schon Recht. Und außerdem, wo gibt es schon keine Idioten?!

Uns bleibt also nichts anderes übrig, als uns mit ihnen zu beschäftigen, und zwar nicht nur mit Ihnen, sondern mit IHRER WIRKLICHKEIT. Offensichtlich scheint sie sich von der unsrigen, zumindest von der meinen, zu unterscheiden.

Und mit wir meine ich auch mich. Allerdings nicht nur mich, sondern auch die Medien, den Journalismus und die Politik. Und das sollte möglichst so geschehen, dass der eine nicht nur auf den anderen zeigt. Hier hat mich letztens besonders geärgert, was Martin Dulig (Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Sachsen) in einem radioeins-Interview diese Woche gesagt hat. Indirekt beschwerte er sich, dass die Dresdner Bürgerschaft so phlegmatisch sei und auch immer etwas länger brauche, um mal auf die Straße zu gehen. Ich finde solche Vorwürfe insbesondere angesichts der Rolle der sächsischen Politik ggü. den Rechtsradikalen in Sachsen, den Vorkommnissen im Dresdner Fußball und dem Umgang mit Pegida eher unangemessen. Aber…wir wollten ja nicht mit dem Finger auf den anderen zeigen!

Also zu uns! Der Soziologe Jean Ziegler (herrlich: vorgestellt neben seinem Professor für Soziologe als Fahrer von Che Guevara) beschreibt im Spiegel Nr. 2 /2015 ganz gut, wie wir uns heute verhalten und wieso. Auf die sinngemäße Frage, warum uns der Unfall von M. Schumacher mehr bewegt und interessiert als die Ebola-Epidemie in Afrika sagt er:„Die Bürger sind durch die Wirtschaftskrisen, verursacht durch den Banken-Banditismus um 2008 und 2009, verunsichert. Sie sind vollends mit sich und ihren eigenen Verlustängsten beschäftigt. Ich möchte das Mitgefühl für Michael Schumacher nicht kleinreden. Aber ich halte die Hysterie nach seinem Unfall oder auch die „Ice Bucket Challenge“ für eine Form von Eskapismus. In solchen Momenten können die Menschen für einen Moment Empathie spüren, ohne wirklich etwas zu riskieren, ohne in ihrem Weltbild erschüttert zu werden.“ Ja, scheiß letzter Satz. Hat er wohl Recht, der Fahrer von Che. Und in diesem Sinne geht das ganze Interview. Viele gutes, was er da sagt!

Wie schaut es mit dem Journalismus aus? Schon lange durch das Internet, die Blogs, Twitter etc. unter Druck, nun durch Pegida-Vorwürfe zumindest in Rechtfertigungszwang geraten und die Presse durch die Ereignisse in Frankreich auch noch physisch angegriffen. Ich glaube, man kann von einer Krise für den traditionellen Journalismus sprechen. Ich mag nicht beurteilen, ob zu Recht oder zu Unrecht. Es ist einfach ein Fakt. Und wenn ich mir die diesbezügliche Landschaft in Deutschland anschaue, fallen mir nicht viele Formate / Zeitungen / Zeitschriften auf, die ich als ernsthaft und gehaltvoll bezeichnen würde, die echte Transparenz und sinnvolle Information verbreiten, die fundiert und gut recherchiert berichten. Die Situation des Journalismus beschreibt Bernhard Pörksen ebenfalls im Spiegel Nr. 2 /2015 in seinem Essay. Pörksen, und das ist ein wahrer Zufall, der mir gerade erst im Zusammenhang mit dem konstruktivistischen Zitat von Watzlawick am Anfang aufgefallen ist, hat u.a. Bücher zur modernen Systemtheorie und der Theorie des Konstruktivismus geschrieben. Ich kenne ihn aus „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“, indem er ein sehr erhellendes Gespräch mit Heinz v. Foerster führt. Aus meiner Sicht analysiert er die Situation des Journalismus so präzise, dass es atemberaubend ist. Und auch er bezieht sich auf die Andersdenkenden. Am Ende des Essays heisst es:“Aber mit Blick auf die vielen, die anders denken, ist der dialogische Austausch alternativlos, denn eine Demokratie lebt von dem Grundvertrauen in ihre Informationsmedien. Als warnendes Beispiel für den drohenden Diskursinfarkt sind – so gesehen – vielleicht sogar selbst die Verschwörungstheoretiker irgendwie nützlich. Sie machen klar, was auf dem Spiel steht.“

Es ist alles komplex, es ist alles nicht Schwarz-Weiß, es ist manchmal schmerzhaft, es ist mindestens aufwendig und mühsam. Aber es gibt keinen anderen Weg in dieser globalen, enger zusammenrückenden Welt. Wir müssen uns auseinandersetzen! Wir müssen riskieren! Es gibt keine Sicherheit! Und das gilt für Politiker wie Journalisten und … UNS! Wenn wir das nicht tun, wird es mit uns getan. Und dann haben wir keine Wahl mehr! Die Kriege, die Nöte, die Konflikte bleiben nicht da, wo sie heute noch mehrheitlich sind. Sie kommen auch zu uns, mitten ins Herz, sogar nach Paris. Wir können warten oder wir versuchen Lösungen zu finden, dass Sie in Afrika und Asien, in der Ukraine oder auch in Südamerika bekämpft werden und irgendwann vielleicht gar nicht mehr entstehen. Falls nicht…sie werden nicht dort bleiben!

 

 

 

Der Autor

Systemisches - Denken - Wirtschaften

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